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Greta Paulsen

Maritime Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus in Lübeck und Schleswig-Holstein

Das Meer hat von jeher Künstler:innen angezogen. Als Sinnbild für Weite, Kraft und Unendlichkeit stehen die Darstellungen maritimer Landschaften für beeindruckende Naturgewalten, romantische Sehnsuchtsorte und den menschlichen Entdeckerdrang. Als Gemälde, Graphik oder Fotografie haben diese Verbildlichungen des Meeres längst Eingang in unser kulturelles Gedächtnis erhalten, da sie auch immer kulturhistorische Zeugnisse sind. Maritime Werke dokumentieren die Geschichte individueller und kultureller Empfindsamkeiten, historischer Naturvorstellungen und gesellschaftspolitischer Ereignisse. Das Interesse an maritimen Gemälden stieg im Deutschen Kaiserreich, als sie zur Gattung der Marinemalerei erhoben wurden. Seitdem haben die machtvollen Meeresdarstellungen einen festen Platz im Kanon der bildenden Kunst und in der kunsthistorischen Forschung.

Bis heute ruft maritime Kunst eine Faszination und Anziehungskraft hervor. Kunstausstellungen, in denen die sogenannten Seestücke im Zentrum stehen, ziehen immer wieder Ströme von Besucher:innen an. Das gilt allerdings nicht für maritime Werke, die während der NS-Diktatur entstanden sind. Als ‚vergessene‘ Objekte lagern sie in Museumsdepots und gelten als unbequemes Erbe, das von der Forschung ausgeklammert oder nicht selten ignoriert wird. Dieser Umstand scheint symptomatisch für den meist unreflektierten Umgang mit der vom Nationalsozialismus offiziell anerkannten Kunst. Durch diesen Ausschluss aus der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts fehlt es an Forschungen, die einen kritischen Umgang mit diesen umstrittenen Werken initiieren könnten. Es gibt bisher kaum Arbeiten, die sich mit der Funktion, den Wirkungsbereichen und der Rezeptionsgeschichte maritimer Kunst im NS beschäftigen. Die Bildnisse und ihre Künstler:innen stellen bis heute eine in der Kunstgeschichte fortwährende Leerstelle dar und bleiben als unaufgearbeitete Werke in Kunstsammlungen zurück, obgleich sie keineswegs nur stille Objekte sind.

Hier setzt das Promotionsvorhaben an. Es macht sich zur Aufgabe, systemkonforme maritime Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus aus kunsthistorischen und zeitgeschichtlichen Perspektiven in den Blick zu nehmen. Zunächst wird ein Korpus erarbeitet werden, der die maritime Kunst im norddeutschen Raum erschließt. Auf Grundlage dieses Korpus werden Fallbeispiele erarbeitet, durch die historische Gegebenheiten, Sichtweisen maritimer Künstler:innen sowie Produktionsbedingungen und Verbreitungsmechanismen ihrer Werke analysiert werden können. Es werden Kontinuitäten, Brüche und spezifische Erscheinungsformen erarbeitet, um diese Objekte in Beziehung mit anderen Werken maritimer Kunst vor 1933 und nach 1945 zu setzen. Durch diesen Schritt werden zugleich das Interesse und die politischen Aneignungsweisen im nationalsozialistischen Kunstbetrieb herausgearbeitet. Die Einsatzbereiche, Funktionen sowie Wirkungen maritimer Kunst innerhalb des NS-Kunstsystems legen mögliche Handlungsspielräume und Einflussnahmen von Förderern und Akteuren dieser Kunst offen. Auf diese Weise können die Tätigkeitsbereiche und das Selbstverständnis von Künstler:innen und ihrer Kunst in einem hochpolitisierten Kunstbetrieb erforscht sowie die Rolle und Bedeutung zeitgeschichtlicher und ideologisierter Vorstellungen des Meeres herausgearbeitet werden.

Ergebnis dieser Untersuchung ist ein Beitrag zur Erinnerungskultur zum Nationalsozialismus, der die ästhetischen, politischen und medialen Dimensionen der systemkonformen maritimen Kunst offenlegt und eine differenzierte Sicht auf die Werke ermöglicht. Es steht dabei eine kritische Betrachtung der maritimen Kunstwerke im Vordergrund, die den ideologischen Zugriff nicht negiert, aber vom Material und von den Objektgeschichten her auch Zwischentöne zulässt und so von der allgemeinen kunsthistoriographischen Bewertung dieser Werke als ideologisch gefärbte und damit als qualitätslos anzusehende Kunst abrückt.

 

Greta Paulsen studierte Kunstgeschichte sowie Literatur- und Kulturwissenschaften in Dresden, Paris und Leipzig. Neben Praktika in Hamburg, Paris und Bremerhaven arbeitete sie in verschiedenen Forschungsprojekten zur deutschen Kunst- und Architekturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Sie promoviert an der Ludwig-Maximilians-Universität München bei Prof. Dr. Christian Fuhrmeister und wird seit Januar 2021 vom ZKFL mit einem Stipendium gefördert.

E-Mail: greta.paulsen@student.uni-luebeck.de

 

Publikationen:

  • Architektur und Städtebau in der DDR. Stimmen und Erinnerungen aus vier Jahrzehnten. Hrsg. v. Arnold Bartetzky, Nicolas Karpf und Greta Paulsen unter Mitarbeit von Anna Reindl. Berlin 2022.
  • Das ungebaute Leipzig. Projekte, Visionen, Luftschlösser. Hrsg. v. Arnold Bartetzky unter Mitarbeit von Greta Paulsen. Leipzig 2021 (erscheint im Herbst 2022).
  • [Rezension zu:] Fink, Verena / Schwarz, Rolf: „Erbitte aus der Spende ‚Künstlerdank‘...“. Kunstschaffende zwischen Fürsorge und Kontrolle im NS-Staat. Husum 2021. In: Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte 61 (2022), S. 254–258.
  • Die Wanderausstellung „Das Meer. Bilder deutscher Maler“. Maritime Malerei im Spiegel nationalsozialistischer Ideologie. Leipzig 2019.
  • Das Rittergut Abtnaundorf 1789–1916. „Dem Auge zum Genuß, wie dem Geiste zur Beschäftigung“. In: Bürger, Gärten, Promenaden. Leipziger Gartenkultur im 18. und 19. Jahrhundert. Hrsg. v. Nadja Horsch und Simone Tübbecke. Leipzig 2018, S. 219–224.