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Maximilian Marotz

Soziale Mobilität der Familie – Die Wismarer Schabbells & die Lübecker Gloxins

De stadt thon ehren und zirade an stath der boden ein groth bruwhus1 errichten. Mit diesen Worten lässt sich H(e)inrich Schabbel 1569 vom Rat der Stadt Wismar für zehn Jahre von allen Steuern und Abgaben befreien, weil er an der Frischen Grube an Stelle der fünf hölzernen Handwerkerbuden sein Brauhaus im Stil der niederländischen Renaissance errichten ließ. Die Familie wohnte in bester Lage mit Blick auf St. Nikolai. Mit Sicherheit war seine Intention nicht nur der stadt thon ehren und zirade, sondern die architektonische Verwirklichung seiner eigenen Memoria, als Sohn eines Zugezogenen. Unterstrichen wird dies bereits durch die Wahl seines Baumeisters: Philip Brandin arbeitete vorher als Hofbaumeister an der Vollendung der Schweriner Schlosskirche für Johann Albrecht I. von Mecklenburg. De stadt thon ehren und zirade, beschreibt aber weitaus mehr als das feuerrote Brauhaus in Wismar. Es steht sinnbildlich für den Habitus einer Familie, die scheinbar aus dem Nichts auftauchte, innerhalb von zwei Generationen die höchsten Ämter der Stadt Wismar bekleidete und diesen Status über Generationen verteidigen konnte. Gekommen um zu bleiben – agierten Sie in ihren Ämtern zu Ehren der Stadt.

Obwohl in Lübeck die Grundstücke der Schabbels / Gloxins an der Aegidenkirche mittlerweile überbaut sind, hat das Sandsteinrelief der Gloxinschen Stiftung überlebt. Diese Memoria der Familie gleicht einem noblen Wappen. Bemerkenswerterweise wurde an dieser Stelle ein eheliches Allianzwappen bestehend aus den Wappen der Gloxins (Pelikan) und der Schabbel (Taubenschlag vor Hausreihe) gewählt.

Die vorliegende Studie fasst erstmals die vorhandenen Bruchstücke zur Geschichte der Familien Schabbel und Gloxin zusammen und steht stellvertretend für Handlungsspielräume ratsfähiger Familien im Anwendungsbereich des Lübischen Rechts. Als Betrachtungszeitraum werden das 16. und 17. Jahrhundert angesetzt - dem Wirkungsbereich der Wismarer Familie Schabbel beginnend mit H(e)inrich Schabbel (1531-1600) und endend mit seinem Enkel Dr. Heinrich Schabbel (1607-1677). Im 17. Jahrhundert weitet sich der Wirkungsgrad der Familie auch auf Lübeck aus:1622 wird Dr. Hieronymus Schabbel (1570-1635) Syndicus der Stadt Lübeck, 1625 heiraten Anna Schabbel (1603-1671) und Dr. David Gloxin (1597- 1671) und 1639 heiratet Dr. Heinrich Schabbel (1607-1677) die Lübeckerin Magdalena Feldhusen (um 1620- 1681). Darüber hinaus sind Dr. Heinrich Schabbel und Dr. David Gloxin seit ihrem gemeinsamen Studium in Rostock miteinander befreundet. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts verwalteten sie gemeinsam das beim Lübecker Rat hinterlegte SchabbelStipendium, eine Stiftung zur Förderung von Theologie-Studenten. Heinrich Schabbel und David Gloxin bilden das inhaltliche Zentrum der Arbeit. Auf den ersten Blick erhalten beide eine vergleichbare Ausbildung als Jurist und beide sind später Bürgermeister ihrer Heimatstadt. Trotzdem verlaufen ihre Biografien nur bedingt parallel. Es ist davon auszugehen, dass beide als "Produkt" einer nach sozialem Aufstieg strebenden Familie sind. Sozialer Aufstieg ist in diesem Fall als langjähriger Prozess und als Generalinteresse einer Familie zu verstehen und nur bedingt als individuelles Bestreben. (Intergenerationenmobilität). Es wird davon ausgegangen, dass die Promotion in Verbindung mit der Würde des Bürgermeisters als Spitze der sozialen Mobilität anzunehmen ist. Es handelt sich um eine gewisse „urbane Nobilität“.

Für beide Protagonisten lässt sich Folgendes feststellen: Gloxins Vaters-Vater war Pastor und Superintendent im brandenburgischen Arnswalde, sein Vater Rektor einer Lateinschule in Woerden und später Kanzlist und Ratsherr in Burg auf Fehmann. Gloxin selbst erlangte sowohl die Bürgermeisterwürde als auch jene des kaiserlichen Rates. Er ist mindestens die dritte Generation mit akademischer Ausbildung und der erste mit Promotion. Anders ist dies bei der schabbelschen Familie: Heinrich Schabbells Vaters-Vater Hinrich war Kaufmann, Brauer, Ratsherr und Bürgermeister in Wismar, und sein Vater war ebenso in Wismar als Brauer, Kaufmann und Ratsherr tätig. Schabbel selbst studiert Jura2 und wendet sich vom familiären Kaufmanns- und Braugewerbe ab. Er schließt sein Studium mit einer Promotion in Orléans ab. Bei der Familie Schabbel ist über Generationen eine Festigung in der lokalen Oligarchie Wismars feststellbar. Vereint Hinrich Schabbell als Kaufmann, Brauer und Bürgermeister noch wirtschaftliche und politische Interessen, ist sein Enkel Heinrich im Stadtbild ausschließlich als politische Elite greifbar.3

Um die Schabbels und Gloxins in die jeweiligen Oberschichten der Städte Wismar und Lübeck einordnen zu können, ist im Vorfeld ein genealogischer Blick notwendig. Nur durch diesen Ansatz lässt sich Intergenerationenmobilität darstellen. Schlussendlich können sie auf den Ruhm und die Mühen ihrer Vorväter aufbauen. Sie nutzen das juristische Studium um die Administrationstätigkeiten ihrer Vorväter in der städtischen Politik zu professionalisieren. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass beide als Gelehrte in universitätsfernen Städten tätig sind. Mindestens für Schabbell lässt sich auch eine mehr als 300 Bände umfassende Privatbibliothek nachweisen.

Neben den neuen Erkenntnissen zu den Familienbiografien sind diese Vorüberlegungen grundlegend für ein Verständnis der Verwaltung in der Frühen Neuzeit. Die "Lokalverwaltung blieb weitgehend Aufgabengebiet und Tätigkeit von lokalen Eliten […], deren Stellung zwischen Repräsentanz der Zentrale und der ihres Herkunftsmilieus schwankte."4 Es ist also davon auszugehen, dass Mitglieder einer Lokalverwaltung (also dem Rat) vorher bereits soziales Kapital kumulieren müssen, bevor sie öffentliche Ämter bekleiden. Der soziale Aufstieg verläuft über Generationsgrenzen hinweg stufenweise. Auch die Frage wird geklärt, wie jenes Phänomen des sozialen Aufstiegs in der Stadt betitelt werden kann: Lokale Eliten, Patrizier, Nobiles Urbani, Stadtadelige, Hochedele, Veste oder Wohledele. Gerade die Frage, ob es in Wismar und Lübeck ein Patriziat gab wird in der Forschung immer wieder kontrovers diskutiert. Neben der Frage, ob dieser Quellenbegriff für die aktuelle Forschungsdiskussion noch brauchbar ist, wird er mit jener Definition des Stadtadels abgewogen.

Nach Betrachtung dieses Personenkreises lässt sich als gemeinsamer Konsens festhalten: Es handelt sich um soziale Gruppen, die sich durch einen Selektionsprozess hervorheben. Hierbei können Geburt, Bildung und Qualifikation sowie Ansehen als Kriterien identifiziert werden. Mitgliedern dieses Kreises stehen somit Positionen zu, die ihnen mehr Einfluss und Macht zugestehen als anderen Gruppen der Gemeinschaft. Daher haben sie die Möglichkeit Wandlungsprozesse anzustoßen bzw. zu verhindern und sie füllen eine soziale Vorbildfunktion aus.

Antjekatrin Graßmann formuliert für Lübeck um 1500 sieben Kriterien für den sozialen Aufstieg in der Stadt. Sie alle sind eng an das kaufmännische Leben angebunden.5 Die meisten Kriterien sind jedoch auch noch im 17. Jahrhundert maßgebend für den sozialen Aufstieg: Hierzu gehören: Abkunft und Herkunft, richtige Heirat, (wirtschaftlicher Erfolg), die Übernahme von politischen Ämtern, ein repräsentativer Lebensstil, Stiftertätigkeit, sowie die Wahl von Wohnhaus und Grablege in der „richtigen“ Gegend. Den allgemeinen Erwartungen des späten 17. Jahrhunderts entsprechend ist der wirtschaftliche Erfolg nicht weiter als messbare Größe unabdingbar, wenngleich es ein gewisser Wohlstand allemal ist. Anstelle des wirtschaftlichen Erfolges kann auch die erfolgreiche Absolvierung einer gelehrten Ausbildung treten.

Graßmann kritisiert bereits 1998 im Lexikon der Akteure und Gegner der Hansezeit die fehlenden Darstellungen zur Familie Gloxin. Dort schreibt die Autorin: „Erstaunlicherweise gibt es über einen solchen berühmten Mann, über dessen Bedeutung zumindest für die lübeckische Geschichte auch aus der Sicht nach 350 Jahren eigentlich keine Zweifel bestehen, keine ausführliche Biographie.6“ Auch für den Wismarer Teil der Familie Schabbel/Gloxin fehlen umfassende Darstellungen.

An diesen Ausführungen setzt das Promotionsprojekt an. Anfangs sind die Biografien der Vorfahren der zu betrachtenden Personen überblickshaft darzustellen, um daraus das Selbstverständnis von Schabbell und Gloxin als Teil der städtischen Oberschicht anhand ihrer Tätigkeiten als Jurist bzw. Teil der Lokalverwaltung herzuleiten. In Anlehnung an die von Graßmann vorgelegten Kriterien wird die soziale Mobilität der Familien Schabbel und Gloxin unter den folgenden Gesichtspunkten analysiert: Biografie; Sozialisation (Ausbildung, Studium, Grand Tour); Heiratskreise und Netzwerke; Symbolik, Memoria und Rang; Engagement im Rat und als Bürgermeister; Die Familien als Stifter; und die Familie in der zeitgenössischen Publizistik wie Leichenpredigten und Lobschriften.

Das Forschungsvorhaben stellt sich als vielversprechend heraus, da eine breite Quellenbasis recherchiert werden konnte. Die stetigen Digitalisierungsbemühungen der Archive, Bibliotheken und Museen ließen Quellen dort finden, wo sie selten vermutet wurden. Derzeit basiert das Projekt auf Quellen aus folgenden Häusern:

  • Stadtarchive Wismar, Lübeck, Rostock, Stralsund
  • Stadtgeschichtliches Museum der Hansestadt Wismar im Schabbell
  • St. Annen-Museum Lübeck (angefragt)
  • Stadtbibliothek Lübeck
  • Universitätsmatrikel Rostock, Basel, Helmstedt, Köln
  • Landeshauptarchiv Schwerin
  • Landesarchäologie MV/ Schwerin
  • Landeshauptarchiv Schleßwig
  • Riksarkivet Stockholm
  • Krigsarkivet Stockholm
  • Archive Déparmentale du Loiret-Orléans
  • Niedersächsisches Landesarchiv
  • Landesarchiv Baden-Württemberg

Da fast alle Protagonisten auch als Advokaten tätig waren, ist eine Vielzahl an dienstlichen Gerichtsquellen, insbesondere vom Wismarer Tribunal, überliefert. Diese wurden nur gesichtet, wenn die Protagonisten selbst Kläger oder Beklagter waren. Ebenso wurden bei den Forschungen zur Familie Gloxin die Akten zum Frieden von Münster und Osnabrück außer Acht gelassen, da hier wenig bis keine biografischen Daten zu erwarten sind.

 

Maximilian Marotz M.A. studierte Geschichte und Romanistik an den Universitäten Rostock und Salerno. Während des Studiums arbeitete er an der Universitätsbibliothek Rostock im Projekt "Aktivposten Kulturgut – Bibliotheken, Archive und Museen als Orte der Erinnerungskultur“ und an der Wossidlo-Forschungsstelle der Universität Rostock im Projekt "Das Museum als kulturwissenschaftliches Forschungsfeld". Seit Februar 2018 arbeitet er im Sammlungsmanagement des Stadtgeschichtlichen Museums der Hansestadt Wismar im Schabbell. Maximilian Marotz promoviert an der Universität Rostock bei Prof. Hillard von Thiessen und wird seit August 2019 von der Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert.

Seine Forschungsinteressen liegen in der Landesgeschichte, Ethnologie und Volkskunde Mecklenburgs; Räten, Diplomaten und Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit und der Gender- & Sozialgeschichte der Vormoderne.

E-Mail: maximilian.marotz@student.uni-luebeck.de

 

Publikationen:
Aufsätze:

  • Marotz, Maximilian: Ein Bauwerk fürs Brauwerk! In: Museumsverband Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.): Mitteilungen des Museumsverbandes 2018. Rostock 2018(Mitteilungen des Museumsverbandes 27. Jahrgang), S. 53-54.
  • Marotz, Maximilian: Die Professur war nicht genug. Oluf Gerhard Tychsen. In: Zepf, Robert (Hrsg.): 450 Jahre Universitätsbibliothek Rostock 1569-2019. Rostock 2019 (Veröffentlichungen der Universitätsbibliothek Rostock 146), S. 36-42.
  • Marotz, Maximilian: Wismar im Mittelalter. In: Huschner, Norbert (Hrsg.): Museum Schabbell Wismar. Wismar 2020 (Schriftenreihe aus dem Welterbehaus der Hansestadt Wismar Band 3), S. 122-133.
  • Marotz, Maximilian: Von der blühenden Hansestadt zur fürstlichen Sommerresidenz. In: Huschner, Norbert (Hrsg.): Museum Schabbell Wismar. Wismar 2020 (Schriftenreihe aus dem Welterbehaus der Hansestadt Wismar Band 3), S. 148-157.
  • Marotz, Maximilian; Schubert, Corinna: Starke Frauen. In: Landkreis Nordwestmecklenburg (Hrsg.): Moin! Das Kulturmagazin in Nordwestmecklenburg. Wismar 2020. S. 60-63.
  • Marotz, Maximilian: Das Schwein in der Hafenstadt 1650-1670. In: Dokumenta Pragensia 2022 (im Druck).

Monografien

  • Zepf, Robert; Marotz, Maximilian: Bücher und Bildung. Rostocks Exportschlager im 16. Jahrhundert. Rostock, 2018.
  • Marotz, Maximilian: Sittsam, Strebsam, Selbstbestimmt - Wismars weibliche Seite. Wismar 2019 (Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Sonderausstellung im Schabbell).
  • Marotz, Maximilian: Der Fürst und sein Professor? Patronage im Verhältnis zwischen Herzog Friedrich dem Frommen und Oluf Gerhard Tychsen. Rostock 2021. (Veröffentlichungen der Universitätsbibliothek Rostock, 148), zugleich Masterarbeit 2018.

1 Archiv der Hansestadt Wismar (AHW). Zeugebuch Liber Testimoniales 1569, S. 24.

2 Lediglich sein Onkel Hieronymus studierte in Rostock und Köln Jura. Er promovierte 1596 und war dann als Assessor am RKG in Wetzlar und später als Syndikus in Lübeck aktiv.

3 Vgl. Keller, Katrin "Eliten", in: Enzyklopädie der Neuzeit online, Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Copyright. J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung. Consulted online on 23 May 2021.

4 Windler, Christian "Verwaltung", in: Enzyklopädie der Neuzeit online, Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Copyright. J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung. Consulted online on 23 May 2021.