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Felix Klingenbeck

Lazarettstadt Lübeck: Ein Beitrag zur Geschichte des Reservelazarettwesens der Wehrmacht 1939–1945

Kurz bevor im September 1939 der Angriff der Deutschen Wehrmacht auf Polen begann, standen die zu Reservelazaretten umgegliederten, ehemaligen Garnisonslazarette innerhalb des Reichsgebietes für die Aufnahme der anfallenden Verwundeten bereit. So auch die Abteilungen der Reservelazarette Lübeck und Travemünde. Anders als erwartet kamen hier jedoch keine verwundeten „Helden“ von den Fronten an, sondern Patienten mit Magenleiden und anderen internistischen Erkrankungen aus den Lazaretten Süddeutschlands, um dort ausreichende Kapazitäten für die Verwundeten der Kampfhandlungen zu schaffen. Der eher bescheidene und wenig „heroische“ Beginn des Lazarettbetriebs in Lübeck und seiner Umgebung, dehnte sich bald schon mit Fortschreiten des Krieges über die gesamte Stadt und ihre umliegenden Gemeinden zu einer Art „Lazarettorganismus“ aus, der viele altehrwürdige Gebäude der Lübecker Altstadt, die Hotels und Kurstätten Travemündes und sogar das kleine Niendorf durch ein Sonderlazarett für Hirnverletzte in Beschlag nahm.

Nach Beginn des Krieges im Osten und aufgrund der geographischen Nähe zum skandinavischen Raum erlangte Lübeck mit seinen Grenzgebieten als Lazarettstadt, die zu Lande, per Schiene, Schiff und durch die Luft gut zu erreichen war, eine zunehmende strategisch wichtige Bedeutung. Nicht zuletzt aber auch deshalb, weil durch das Engagement von Eric. M. Warburg und Carl Jacob Burckhardt nach dem verheerenden Luftangriff der Royal Air Force an Palmarum 1942 die Stadt keinen weiteren großen strategischen Bombenangriff mehr erlebte.

Trotz der Wirren des Kriegsendes überstand ein Konvolut der internen Lazarettverwaltung dieser Lazarettstadt die Zeiten und ist im Archiv der Hansestadt Lübeck überliefert. Gemessen an der insgesamt sehr schlechten und fragmentarischen Gesamtüberlieferungssituation zu Reservelazarettstandorten der Wehrmacht in den Bundesarchiven liegt hier seit Jahrzehnten ein kleiner „Aktenschatz“, der ungeahnte Einblicke in Organisation und Abläufe eines Lazarettstandortes während des Zweiten Weltkrieges bietet.

Das vorliegende Dissertationsvorhaben versucht nun erstmals mit Hilfe dieses Aktenbestandes, die Organisationsgeschichte des Reservelazarettstandortes Lübeck zu rekonstruieren. Parallelüberlieferungen und Verwaltungsvorgänge von den städtischen Ämtern Lübecks sollen weiterhin helfen, das Bild zu komplettieren.

Neben rein organisationsgeschichtlichen Fragen soll auch versucht werden, auf medizinische Kernabläufe und Probleme in den Reservelazaretten näher einzugehen. Einzelne vorliegende ärztliche Schilderungen von behandelten Patientenkollektiven werden, soweit möglich, durch eine medizinstatistische Auswertung der Lübecker Lazarettbücher aus dem seit 2019 im Bundesarchiv zugänglichen „Krankenbuchlager“ ergänzt. Es soll hier auf statistischer Basis die Quantität von Verletzung, Erkrankung und auch Tod an einem Lazarettstandort während des Zweiten Weltkrieges greifbarer gemacht werden.

Mit Hilfe einiger bereits gesammelter und durch weitere Recherchen möglicherweise noch ergänzbarer Ego-Dokumente sollen zudem die Erfahrungen Einzelner, wie Patienten, Krankenschwestern und Ärzte, sichtbar gemacht werden.

Eine Dritte Säule soll schlussendlich nach Dynamiken und Wechselwirkungen fragen, welche der „Lazarettorganismus“ durch Interferenzen mit den Bewohnern der Stadt Lübeck möglicherweise auslöste. Wie reagierte eine Stadtgesellschaft auf die körperlich und teils auch seelisch verwundeten jungen Männer, die die Propaganda vormals als heroische Kämpfer inszeniert hatte? Gab es hier die, wie bereits von Sabine Kienitz für den Ersten Weltkrieg nachgewiesene, Erfahrung des Anblicks der zerstörten Körper der Soldaten als deutlichste und greifbarste Manifestation des Schlachtgeschehens in der Heimat?1

 

Felix Klingenbeck studierte Humanmedizin an den Universitäten Marburg und Lübeck. Seit Anfang 2019 ist er als Assistenzarzt in Weiterbildung für Innere Medizin in einer Klinik bei Lübeck tätig. Seine medizinhistorische Dissertation wird durch Prof. em. Dr. rer. nat. Burghard Weiss am Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung (IMGWF) an der Universität zu Lübeck betreut. Seit Januar 2021 ist das Forschungsvorhaben als assoziiertes Projekt am ZKFL angesiedelt.

E-Mail: f.klingenbeck@student.uni-luebeck.de

 

Link zu Felix Klingenbeck auf der Seite vom Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung.
 

Publikationen:

  • Felix Klingenbeck: Infrastrukturpolitik im ländlichen Raum – Der Reichsarbeitsdienst als nationalsozialistischer Akteur in Südhessen, in: information – Wissenschaftliche Zeitschrift des Arbeitskreises Deutscher Widerstand 1933–1945, 87 (2018), S. 20–25.

 


1 Sabine Kienitz: „Fleischgewordenes Elend“ Kriegsinvalidität und Körperbilder als Teil einer Erfahrungsgeschichte des Ersten Weltkrieges, in: N. Buschmann u. H. Carl (Hg.), Die Erfahrung, S. 215-237; dies. Beschädigte Helden. Kriegsinvalidität und Körperbilder, 1914-1923, Paderborn 2008.