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Jonas Jakubowski

Die Lübecker Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit 1918/19 – 1950er Jahre. Ein Verein zwischen bürgerlichem Selbstbewusstsein, Krise und „Volksgemeinschaft“

Die Gründung der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit im Jahr 1789 durch Lübecker Geistliche, Juristen und Kaufleute stand im Zeichen der Aufklärung. Sie gründete sich nach dem Vorbild vieler weiterer bürgerlicher Vereine im Mitteleuropa des 18. Jahrhunderts – wie etwa die bereits 1765 gegründete Hamburger Patriotische Gesellschaft. Die konfessionell und ständisch nicht homogen zusammengesetzte Mitgliedschaft wirkte durch Vorlesungen und Vorträge zunächst nach innen. Doch bereits ab den 1790er Jahren gründete oder integrierte die Gemeinnützige mehrere dutzend soziale und kulturelle Institutionen – darunter teils bis in die Gegenwart bestehenden Einrichtungen wie Schulen, Museen und Bibliotheken, an denen sich die Entwicklung Lübecks zu einer modernen Großstadt ablesen lässt.

Das Promotionsprojekt erforscht erstmals die Geschichte der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit im Zeitraum von der Weimarer Republik bis hinein in die frühe Bundesrepublik. Bisherige Forschung konzentrierte sich auf das 19. Jahrhundert.  Der Fokus liegt auf der NS-Zeit, doch das Projekt wird auch den Weg der Gemeinnützigen in die Diktatur sowie ihren Umgang mit den Folgen des Nationalsozialismus nach 1945 erforschen. Mit dem organisierten Bürgertum in der kleinen Großstadt Lübeck gerät ein Akteur in den Blick, der auf der kommunalen Ebene in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht wegzudenken war. Immerhin war in den 1920er Jahren etwa ein Prozent der Stadtbevölkerung Mitglied der Gemeinnützigen und ein noch größerer Anteil profitierte von ihren Einrichtungen. Doch über diesen Rahmen hinaus ist wenig über das konkrete Agieren der Gesellschaft, ihr Innenleben, ihre Entscheidungs- und Positionierungsprozesse zwischen Demokratie und Diktatur, ihre vor allem männlichen Akteure sowie ihre zahlreichen Tochtergesellschaften bekannt. Hier liegt der Ansatzpunkt des Promotionsprojekts: Es handelt sich zunächst um eine Geschichte der Gemeinnützigen und ihrer Akteure in der Auseinandersetzung mit der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus. Das Projekt ist darüber hinaus auch ein Beitrag zur Lübecker Stadtgeschichte und zur Geschichte des „lokalen Nationalsozialismus“ (Thomas Großbölting) in Lübeck. Außerdem erweitert die Arbeit die Kenntnisse über die Geschichte des Bürgertums in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, indem sie analysiert, wie bürgerlich der Nationalsozialismus war.

Die wesentliche Quellengrundlage für die Untersuchung bildet das im Archiv der Hansestadt Lübeck deponierte Archiv der Gemeinnützigen. Dazu kommen ihre Eigenpublikationen wie Jubiläumsschriften und die „Lübeckischen Blätter“, die für den Untersuchungszeitraum erstmals umfassend ausgewertet werden. Um eine sozialdemokratische Außenperspektive auf die Gemeinnützige zu erhalten, werden Lübecker Zeitungen wie der „Lübecker Volksbote“ ausgewertet. Außerdem werden Selbstzeugnisse der handelnden Akteure herangezogen. Diese können in der Nachkriegszeit um Unterlagen aus dem Bereich der Entnazifizierung und evtl. der sogenannten Wiedergutmachung ergänzt werden. Um das Bild der Gemeinnützigen zu erweitern, werden zudem Unterlagen der britischen Besatzungsmacht ausgewertet, die in den National Archives Kew, London, einsehbar sind.
 

Jonas Jakubowski (M.A.) hat Geschichte an der Universität Hamburg mit einem Schwerpunkt in der Geschichte des Nationalsozialismus und der frühen Nachkriegszeit studiert. Während seines Studiums war er studentischer Mitarbeiter an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) im Projekt „HAMREA – Hamburg rechtsaußen. Rechtsextreme Gewalt- und Aktionsformen in, mit und gegen städtische Gesellschaft 1945 bis Anfang der 2000er Jahre“. Seinen alltags- und lokalhistorischen Blick auf Geschichte bringt er in seinem ehrenamtlichen wie freiberuflichen Engagement in der Galerie Morgenland – Geschichtswerkstatt Eimsbüttel sowie Hamburger Initiativen ein, die sich für die Sichtbarmachung von NS-Zwangsarbeit im Stadtraum einsetzen. Seit 2020 ist er zudem freier Mitarbeiter der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen und führt vor allem in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Projekte und Studientage mit Jugendlichen und Erwachsenen durch. Das Promotionsprojekt wird ab Oktober 2025 vom ZKFL mit einem Stipendium gefördert und von Prof. Dr. Kirsten Heinsohn (Universität Hamburg / FZH) betreut.