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Miriam Hoffmann

Exportschlager im späten Mittelalter: Die Lübecker Tafelmalerei von 1470 bis 1520

Die mittelalterliche Kunst Lübecks gehört zu den beeindruckendsten und einflussreichsten Kunsterzeugnissen Norddeutschlands. Bedingt durch den Wohlstand, der durch die kaufmännischen Tätigkeiten der Lübecker Bürger zustande gekommen war, hatten sich in der Hansestadt zahlreiche Meister angesiedelt, die stilbildend auf den norddeutschen und skandinavischen Raum im späten Mittelalter eingewirkt haben.
In meiner Dissertation untersuche ich die Tafelmalerei Lübecks aus der Zeit um 1470 bis 1520. Während die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts im Bereich der Malerei noch gänzlich von niedersächsischen Vorbildern, wie zum Beispiel den Arbeiten Conrad von Soests, geprägt war, bildete sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein eigener lübeckischer Stil heraus. Wichtigste Vertreter auf dem Gebiet der Tafelmalerei waren Bernt Notke (um 1435–1508 / 09) und Hermen Rode (vor 1465 bis nach 1504). Neben diesen bekannteren Meistern existierten noch etwa ein Dutzend weitere mit eigenen Werkstätten in der Hansestadt, die im Mittelpunkt meiner Arbeit stehen sollen.
Der wichtigste Faktor zur Ansiedlung von Kunst produzierenden Werkstätten in Lübeck lag in der politischen und wirtschaftlichen Vormachtstellung Lübecks in der Hanse. Dieses ausgesprochen gut organisierte Netz von Handelsverbindungen kam auch den mittelalterlichen Handwerkern zugute, da sie ihre Kunstwerke nun nicht mehr nur auf dem lokalen und regionalen, sondern auch auf dem internationalen Markt anbieten konnten. Besonders in den skandinavischen Raum sind zahlreiche Werke geliefert worden, von denen noch heute geschätzte 50 Objekte in Schweden, Norwegen und Dänemark existieren, wobei sich der Großteil der Werke in Schweden befindet.
Der Zeitraum von 1470 bis 1520 wurde bewusst ausgewählt, da er einerseits die letzte Blütezeit Lübeckischer Kunst umfasst und andererseits das Bemühen der um 1500 in der Hansestadt tätigen Künstler zeigt, die hohe Qualität Lübeckischer Produkte aufrecht zu erhalten. Um 1520 beginnen auch die Lübecker Künstler Renaissance-Elemente aufzugreifen und den spätgotischen Stil abzustreifen, was durch das Hinzuziehen von Künstlern aus dem süddeutschen und niederländischen Raum gefördert wurde (z.B. Erhart Altdorfer, Jacob van Utrecht). Deshalb setze ich hier den Endpunkt meiner Untersuchung. Der zeitliche Ausgangspunkt, um 1470, wurde aufgrund zweier bedeutender Meister gewählt, die die Lübecker Kunstlandschaft in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts geprägt haben: der Maler und Bildschnitzer Bernt Notke und der Maler Hermen Rode. Beide gelten als Hauptvertreter der Lübeckischen Malerei und Bildschnitzerei der Zeit. Notke schuf z.B. das Triumphkreuz im Dom zu Lübeck (1471–77). Eine andere hervorstechende Künstlerpersönlichkeit ist der Maler Hermen Rode. Von Hermen Rodes Hand stammen z.B. die Malereiseiten des Hochaltarretabels der St. Nikolai-Kirche in Reval (1481).
Diese beiden Maler darf man als Wegweiser und Ausgangspunkt der Lübeckischen Malerei ab 1470 betrachten. Neben ihnen waren jedoch noch weitere Maler tätig, deren Identität bis heute ungeklärt ist. Ihre Werke zeugen von einem Einfluss, aber auch einer Eigenständigkeit gegenüber den zwei dominierenden Meistern der Stadt. Diese bis dato nur marginal erforschten Meister und ihre Werkstätten sind der Forschungsgegenstand der Dissertation. Es sollen die bereits zugeschriebenen Arbeiten Lübeckischer Künstler dieses Zeitraums, sowie Werke, die bisher weder einer individuellen Künstlerpersönlichkeit noch einer Werkstatt zugeschrieben wurden, jedoch mit großer Sicherheit aus dem Lübeckischen Kunstraum stammen, analysiert werden. Es handelt sich hierbei v.a. um Retabel, die Skulpturen und Malerei aufweisen, da reine Tafelmalereien äußerst selten erhalten geblieben sind. Eine Ausnahme stellt die Antoniustafel von 1503 im Dom zu Lübeck dar.
Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Lübecker Tafelmalerei der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hatte ihren Höhepunkt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Den Anfang machte Adolph Goldschmidt 1890 in seiner Dissertation über die Lübecker Malerei und Plastik bis 1530 (Goldschmidt, Adolph 1890: Lübecker Malerei und Plastik bis zum Jahre 1530).
Die erste umfassende Monographie über die norddeutsche Malerei von 1450 bis 1550 legte Harald Busch 1941 vor (Busch, Harald 1941: Meister des Nordens. Die Altniederdeutsche Malerei 1450–1550). Busch untersuchte in drei Abschnitten die Meister und Werke des gesamten norddeutschen Raumes, wobei er an der Vielfalt und Fülle des Korpus scheiterte. Daher bedürfen seine Einschätzungen und Zuschreibungen einer dringenden Revision.
In jüngster Zeit sind die beiden ersten Bände des auf fünf Bände angelegten Corpuswerks von Uwe Albrecht über die mittelalterliche Holzskulptur und Tafelmalerei in Schleswig-Holstein erschienen, die sich mit dem Lübecker Bestand befassen (Albrecht, Uwe (Hrsg.): Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur und Tafelmalerei in Schleswig-Holstein, Bd. 1: Hansestadt Lübeck. St. Annen-Museum, 2005 / Bd. 2: Hansestadt Lübeck. Die Werke im Stadtgebiet, 2012).
Der unverzichtbare Ausgangspunkt für die Erforschung der Lübecker Tafelmalerei von 1470 bis 1520 ist ein Korpus, das alle noch erhaltenen Denkmäler in Norddeutschland, in Skandinavien und im Baltikum erfasst. Jedes Werk soll kurz beschrieben und photographisch wiedergegeben werden. Mit dieser Grundlage ist es möglich, wichtige Schlüsse über die Tafelmalerei Lübecks zu ziehen und eine stilkritische Analyse vorzunehmen.
Die Tafelmalerei Lübecks ist mehr als eine bloße Regionalkunst. Sie war ein Exportschlager im Mittelalter und besaß Geltung über die Stadt und die Landesgrenzen hinaus. Insofern ist Lübeckische Kunst sowohl regional als auch international von höchster Relevanz. Sie soll mit dieser Arbeit über die Schwellenphase vom Mittelalter zur Neuzeit eine entsprechende Würdigung erfahren.

 

Miriam Hoffmann studierte Kunstgeschichte, Neuere Deutsche Literatur und Medien, Ältere Deutsche Literatur / Deutsche Sprachwissenschaft und Europäische Ethnologie / Volkskunde an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und an der Indiana University in Bloomington (USA) (1998–2006). Seit 2006 Promotion an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (Kunsthistorisches Institut).

2014 promovierte sie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (Kunsthistorisches Institut) mit dem Titel: Hoffmann, Miriam Jessica: "Rede ghemaket to lub ..." : Studien zur Lübecker Tafelmalerei des Spätmittelalters.
 

Ihre Dissertation ist als Buch erschienen unter dem Titel: Studien zur Lübecker Tafelmalerei von 1450 bis 1520 im Verlag Ludwig, Kiel 2015, ISBN 978-3-86935-235-0.