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Von Kaufmännern, Kauffrauen und ihrer Korrespondenz

Wir sprachen mit Ole Meiners, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsstelle für die Geschichte der Hanse und des Ostseeraums

Sehr geehrter Herr Meiners, in Ihrem Dissertationsprojekt setzen Sie sich mit der Rolle des Vertrauens im Netzwerkhandel des Hanseraums auseinander, zudem haben Sie sich bereits detailliert mit quellentypologischen Überlegungen zu Briefen niederdeutscher Kaufleute beschäftigt. Betrachtet man heutzutage die Porträts jener Hansekaufleute – ich denke etwa an das bekannte von Hans Holbein d. J. gefertigte Bildnis des Georg Giese –, so scheinen vor allem Briefe dort quasi omnipräsent zu sein. Welche Bedeutung hatte schriftliche Kommunikation für den Kaufmann der Vormoderne? Und wie nähert sich die historische Forschung diesem Gegenstand an?

Ole Meiners: Briefe, im modernen Sinne (miss)verstanden als vorrangig private Korrespondenz, wurden lange Zeit von der Historiographie eher gering geschätzt. Zwar hat sich die ‚alte‘ Kulturgeschichte ihrer angenommen (insbesondere Georg Steinhausen), aber gerade Vertreter der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sah in ihnen eine eher nachrangige Quellengattung. Im Zuge des Cultural turn in den Geschichtswissenschaften kamen Briefe (und andere Ego-Dokumente) wiederum vermehrt in den Fokus, da sie wie wenige andere historische Quellen eine Annäherung an die Akteure, ihre Wahrnehmung und ihre Interaktion ermöglichen. Dies gilt auch für die Kaufleute der Vormoderne, insbesondere da der Fernhandel in hohem Maße auf Schriftkommunikation angewiesen war. Briefe auszutauschen war ein alltäglicher und zentraler Bestandteil der kaufmännischen Tätigkeit. So sind die kaufmännischen Briefe (auch) als ökonomisches Schriftgut zu verstehen, vergleichbar den Rechnungsbüchern; als solche werden sie etwa in gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Kaufleuten als Beweismittel verwendet. Allerdings beschränken sich Inhalt und Funktion keineswegs auf den Handel oder das ökonomische Feld. Vielmehr finden sich auch im modernen Verständnis private (oder allgemeiner: nicht geschäftliche) Themen – gerade das macht sie als Quelle für die Untersuchung der Kaufleute, ihres Handels und ihrer vielfältigen Verbindungen so wertvoll. Hier wird deutlich, wie die wirtschaftlichen Tätigkeiten eingebettet waren in vielschichtig verbundene Netzwerken und das eine Trennung dieser Sphären (eine in privat und eine geschäftliche) für die Vor- und Frühmoderne anachronistisch wäre.

Die jüngere Forschung trägt dieser Tatsache Rechnung und zieht die kaufmännischen Briefe daher für eine Vielzahl von Fragestellungen heran. Prominent zu erwähnen sind Netzwerkanalysen, prosopographische Auswertungen und praxeologische Ansätze, die danach fragen, wie die Kaufleute ihre (Handels-)Netzwerke mittels Briefen unterhielten. Durch die Vielfalt der Themen, die in den Briefen zur Sprache kommen, eignen sie sich zudem für verschiedene Fragestellungen über wirtschaftsgeschichtliche Themen hinaus, die sich mit den Lebenswelten der Kaufleute beschäftigen.

Eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Kaufmannsbriefe kann natürlich nur diejenigen Dokumente zum Gegenstand haben, derer sie greifbar wird. Wie wurden die allermeisten uns heute noch zur Verfügung stehenden Briefe überhaupt überliefert? Und inwiefern muss man die Überlieferungsbedingungen bei der Arbeit mit ihnen im Hinterkopf behalten?

Ole Meiners: Kaufmännische Briefe können auf vielerlei Weise überliefert sein, wobei grundsätzlich festzuhalten ist, dass sie als Gebrauchsschriftgut zwar von den Kaufleuten aufbewahrt, aber nur in Ausnahmefällen über den Tod eines Kaufmanns und die Abwicklung seiner Geschäfte hinaus erhalten oder gar bewusst archiviert wurden. Dies kam lediglich in großen und entsprechend langlebigen Handelshäusern vor, wie etwa denen der Fugger und Welser aus Oberdeutschland. Obwohl die Kaufleute große Mengen an Briefen und anderem Schriftgut produzierten, ist somit lediglich ein winziger Bruchteil dessen überliefert. Im niederdeutschen Raum sind kaufmännische Briefe zumeist in den städtischen Archiven überliefert, wohin sie zumeist im Rahmen von gerichtlichen Auseinandersetzungen gelangt sind. In verschiedenen Streitigkeiten wurden sie als Beweismittel etwa für offene Schulden verwendet. Allerdings sind die Briefe nicht zwingend in den entsprechenden Gerichtsakten erhalten, sondern wurden und werden getrennt hiervon aufbewahrt, sodass der Zusammenhang und somit der Überlieferungskontext oftmals nicht ohne weiteres erkennbar sind. Hierbei ist besonders zu beachten, dass die überlieferten Briefe immer eine gezielte Auswahl aus einer zumeist viel umfangreicheren Korrespondenz darstellen. Die Briefe werden gezielt hinsichtlich ihrer Aussagekraft in einer bestimmten Streitsache ausgewählt und dem Gericht vorgelegt, während die übrigen Briefe nicht überliefert sind. Die so erhaltenen Korrespondenz-Korpora enthalten dementsprechend oftmals lediglich eine ein- oder zweistellige Anzahl an Briefen und lassen nur kurze Einblicke in zumeist langfristige Beziehungen und umfangreichere Korrespondenzen zu. Gerade diese kleinen Korpora bedürfen der Kontextualisierung, etwa durch die Gerichtsakten, um sie gewinnbringend auswerten zu können. Überlieferungen wie die Veckinchusen-Korrespondenz, die mit über 500 Briefen einen Zeitraum von 40 Jahren abdecken, bilden bedauerlicherweise die große Ausnahme.

Wenn eine weitreichende Brief-Kommunikation beinahe existenziell für das Gelingen des Geschäftsbetriebs war, könnte man ja erwarten, dass sich solche Dokumente inhaltlich auf die nötigsten Geschäftszusammenhänge beschränken und eine nahezu standardisierte Form aufweisen – Zeit ist ja bekanntlich Geld. Ähnliches kennen wir heute auch in der DIN 5008 zur Gestaltung von Bürokommunikation. Lässt sich ein Kaufmannsbrief aus der Vormoderne überhaupt mit einem modernen Geschäftsbrief vergleichen? Gibt es beispielsweise typische Gestaltungskriterien hinsichtlich Materialität, Stil und Sprache und erfüllen diese möglicherweise eine Funktion?

Ole Meiners: Die kaufmännischen Briefe waren als Gebrauchsschriftgut hinsichtlich ihrer Form und Ausgestaltung in aller Regel schlicht und schmucklos. Wie etwa der Brief von Hildebrand Veckinchusen an seine Frau Margarethe, der als Faksimile im Europäischen Hansemuseum in Lübeck ausgestellt ist, zeigt, wurde der auf dem Beschreibmaterial gegebene Raum bestmöglich ausgenutzt, indem freie Flächen ggf. mit einer anderen Schreibrichtung befüllt wurden. Im Unterschied etwa zu städtischem Schriftgut oder auch Verträgen von Handelsgesellschaften, die einen rechtlichen Charakter besaßen und denen ggf. eine zeremonielle Verwendung zukam, waren die kaufmännischen Briefe hinsichtlich des Beschreibmaterials wie auch der Beschriftungspraxis eher funktional, wobei es Unterschiede gab, die in Rang und Verhältnis der Korrespondenten begründet lagen. Der Großteil der überlieferten kaufmännischen Korrespondenz weist Korrekturen auf oder Anmerkungen, dass der Brief ‚in Eile‘ bzw. ‚mit Hast‘ geschrieben wurde. Es ist davon auszugehen, dass es sich direkt um Reinschriften handelt, was die mitunter patchwork-artigen Aneinanderreihungen von Themen und Aussagen bestätigen. Das, was gerade relevant erschien, wurde festgehalten und ggf. später ergänzt. Ein geschliffener Stil, wie ihn etwa die Korrespondenz der Res publica litteraria auszeichnet, und wie sie der spätmittelalterlichen Brieflehre entsprach, ist nur in Ausnahmefällen festzustellen, etwa wenn ranghohe Mitglieder der städtischen Führungsschichten an der Korrespondenz beteiligt sind. Gerade in der ständischen Gesellschaft ist der auf den Zweck des Informationsaustauschs reduzierte Stil bemerkenswert, waren die Fernhandelskaufleute doch in anderen Kontexten oftmals bemüht, ihren ökonomischen Erfolg in Rang und Status zu übersetzen bzw. symbolisch etwa durch eine dem Adel angeglichene Lebensweise zu kommunizieren. Insofern ist der Vergleich mit modernem Schriftgut durchaus gegeben. Deutlich wird dies etwa auch bei den stark formalisierten Schuldbriefen, in denen Kaufleute einander bestehende Schulden sowie Zahlungstermine bestätigten. Auch diese zählten zur kaufmännischen Korrespondenz. Als materielle Besonderheit sind allerdings die Siegel zu nennen, mit denen die Briefe oftmals verschlossen worden. Diese weisen in der Regel ein Wappen oder anderes Zeichen des Verfassers auf und dienen zum einen dazu, den Brief sicher zu verschließen und die Inhalte vor dem Zugriff Dritter zu bewahren. Zum anderen kam dem sog. ‚Pitzer‘ auch ein beglaubigender Charakter zu, wenn es sich etwa um einen Schuldbrief handelt. In diesem Falle wird in der Regel im Brieftext darauf verwiesen, dass der Brief a) von eigener Hand geschrieben und b) mit dem eigenen Siegel/Pitzer versehen wurde.

Wir reden hier beinahe selbstverständlich von „Kaufmannsbriefen“. Allerdings sind auch Briefe mit kaufmännischem Inhalt von Frauen überliefert. Welche Rolle spielten Frauen in den Korrespondenznetzwerken der Kaufleute?

Ole Meiners: Die Frage, welche Rolle Frauen in den Korrespondenznetzwerken der Kaufleute zukam, ist ähnlich schwer zu beantworten wie die Frage, welche Rolle ihnen im Handel zukam. Zum einen ist hierbei zu berücksichtigen, dass Frauen in der Vormoderne entgegen verbreiteter Vorstellungen keineswegs ausschließlich Haushalt und Kinderbetreuung zur Aufgabe hatten, während alles Geschäftliche allein dem Mann oblag. Vielmehr war ein enges Zusammenspiel der Eheleute der Regelfall, gerade auch im Geschäftlichen. Dies gilt neben der Landwirtschaft und dem Handwerk auch für den Fernhandel, in dem Frauen eine mitunter zentrale Rolle und auch in gewissem Rahmen eine aktive Rolle zukam. Allerdings ist auch Vorsicht geboten, den allgemeinen Gestaltungsspielraum der Mehrzahl der Frauen aufgrund von Einzelfällen zu überschätzen. Frauen als eigenständige Akteure im Handel waren die Ausnahme, nicht zuletzt, da sie in der Regel als Töchter oder Ehefrauen rechtlich ihren Vätern oder Ehemännern untergeordnet waren. Frauen, die am Fernhandel beteiligt waren, befanden sich oftmals in einer Sonderposition, die ihnen ein eigenes Vermögen ermöglichte (als Witwen oder wenn sie als Töchter vermögender Väter entsprechenden Eigenbesitz mit in die Ehe brachten). Die Rolle der Frauen beschränkte sich somit in aller Regel auf die der stillen Teilhabe bzw. der Finanzierung einer Handelsunternehmung, die dann Andere für sie ausführten. Die Grenzen sind hier allerdings fließend, sodass allgemeingültige Aussagen über die Grenzen und Möglichkeiten weiblicher Handelsunternehmungen schwer zu treffen sind. Allerdings spielten Frauen in verschiedenen Formen im Bereich des Handels eine Rolle, nicht zuletzt, da viele Handelsgesellschaften durch Verschwägerungen angebahnt bzw. zusätzlich gefestigt wurden und den Frauen somit eine naheliegende Vermittlungsposition zukam.

In den Briefen der Kaufleute kommen Frauen daher auch als Korrespondenzpartnerinnen vor – prominent etwa bei Hildebrand Veckinchusen –, allerdings beschränkt sich der Briefaustausch oftmals auf den Verwandtschaftskreis, insbesondere den Ehemann sowie die eigene Familie. Im Falle von Margarethe Veckinchusen übernahm sie etwa in Abwesenheit ihres Mannes die Aufgabe, Schulden einzutreiben, Gläubiger zu vertrösten und Informationen vor Ort zu beschaffen und zu übermitteln. Eine aktive Rolle im Handel kam ihr jedoch nicht zu und dementsprechend überwiegt in den Briefen zwischen ihr und ihrem Mann Hildebrand das ‚Private‘ wie etwa die Kindererziehung. Briefe von Frauen als aktiven Handelspartnern sind mir bislang keine bekannt, allerdings würde ich auch deren Existenz nicht ausschließen. Dass Frauen am Handel partizipierten, ist vielfach dokumentiert. Es wäre allerdings zu fragen, ob sie selbst ihre Geschäfte auch aktiv mittels Korrespondenz gestalten konnten und in welchem Ausmaß sie Einfluss nahmen in Handelsbeziehungen ihrer Männer, Brüder, Väter oder Söhne. Nicht zuletzt ist hier zu beachten, dass Frauen im Gegensatz zu den Kaufleuten nicht zwingend schreiben konnten. Margarethe Veckinchuse etwa diktiert ihre Briefe ihrer Tochter: Während die Mutter zu Beginn des 15. Jahrhunderts noch nicht schreiben gelernt hatte, lernt ihre Tochter es und wird auch direkt in die Korrespondenz mit ihrem Mann  -- und mutmaßlich auch mit anderen – eingebunden. Nichtsdestotrotz ist festzuhalten, dass der Großteil der überlieferten kaufmännischen Korrespondenz zwischen Männern stattfand und dass die Interessen der Frauen – etwa bei Konflikten – von Vormündern vertreten wurden. Die Spielräume der Frauen im Handel waren grundsätzlich eng gesteckt: In aller Regel war sie auf Männer als ihre (Interessens-)Vertreter angewiesen, was sich auch in den Briefen niederschlägt: Öfter werden Angelegenheiten von Frauen thematisiert, als dass sie als aktive Teilnehmerinnen an der Korrespondenz nachweisbar wären.

Sehr geehrter Herr Meiners, haben Sie vielen Dank für dieses Interview!

Das Interview führte Carsten Siebenbürgen


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