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„Teilhaben an einem intimen Dialog“

Interview mit Prof. Dr. Wolfgang Sandberger, Leiter des Brahms-Instituts an der Musikhochschule Lübeck

Welche Rolle nehmen Briefe am Brahms-Institut ein?

Briefe sind eine zentrale Kommunikationsform im 19. Jahrhundert und damit für unsere Sammlung, die mit Brahms und dessen Umfeld in dieser Zeit verortet ist, sehr wichtig. Nicht nur mit Blick auf Johannes Brahms – wir haben gerade ein großes Erschließungsprojekt zu Joseph Joachim realisiert, dem großen Geiger und Brahms-Freund. In diesem Zusammenhang wurden etwa 900 Briefe von Joseph Joachim an seinen Bruder Heinrich digital präsentiert, übertragen und überhaupt erstmals erschlossen. Also: Briefe nehmen hier in der Forschung, aber auch im Hinblick auf das digitale Portal eine zentrale Rolle ein.

Sie haben bereits den besonderen Stellenwert der Briefkultur im 19. Jahrhundert angesprochen. Sind Briefe denn hier aus musikwissenschaftlicher Perspektive als ein bloßes Epiphänomen oder als ein Phänomen mit signifikanter Wirkung zu betrachten?

Mit Blick auf Johannes Brahms würde ich sagen, dass Briefe hier vor allem im klassischen Sinne als ichbezogene Selbstzeugnisse zu begreifen sind. Wir müssen allerdings zwischen den Geschäftsbriefen und der privaten Korrespondenz unterscheiden. Was den Geschäftsbrief betrifft, schrieb Brahms allein an den Verleger Simrock 900 Briefe. Diese Zeugnisse sind für die Brahms-Forschung insbesondere dann von großem Interesse, wenn es um die Drucklegung der Kompositionen geht. Auf der anderen Seite haben wir die private Korrespondenz, die sehr viele Einblicke in biographischer, darüber hinaus aber auch in philologischer Hinsicht bietet. Nun ist Brahms kein großer Briefe-Schreiber wie vielleicht Felix Mendelssohn oder Richard Wagner – auf der anderen Seite aber doch einer, der die Maskierung, Verschleierung und Ironie sehr virtuos beherrscht hat. Und mit Ludwig Finscher bin ich der Überzeugung, dass er damit eben doch einer der großen Briefe-Schreiber des 19. Jahrhunderts ist.

Wonach entscheiden Sie, welche Briefe erworben werden? Gibt es bestimmte Sammlungsstrategien?

Bei der Recherche und der Erwerbung von Briefen spielen ganz unterschiedliche Aspekte eine Rolle: zunächst natürlich eine gewisse Passgenauigkeit in die vorhandene Sammlung, das ist ein ganz wichtiges Kriterium. Ob sich etwas einfügt, etwas ergänzt in das, was man schon hat, ist entscheidend. Wenn wir zum Beispiel einen Brief bereits besitzen und dessen Gegenbrief erwerben können, ist das natürlich besonders interessant. Ein weiterer wichtiger Punkt dabei wäre, dass der Brief vielleicht unbekannt ist – auch das erhöht den Wert. Wir haben hier bestimmte Schwerpunkte, die natürlich erweitert und ergänzt werden sollen und insofern ist nicht jeder Brief, der vielleicht für Wien oder für Washington interessant ist, in der Erwerbung für Lübeck vom selben Interesse. Wir konzentrieren uns allerdings nicht nur auf Brahms: Wenn wir zum Beispiel noch einen Brief von Joseph Joachim ergattern könnten, wäre das großartig, weil wir eben gerade im Blick auf Briefe diesen Joachim-Schwerpunkt haben.

Welche Rolle nehmen Briefe innerhalb der Ausstellung im Brahms-Institut ein und wie wichtig ist dabei der Aspekt der Materialität?

Briefe sind aus einer doppelten Perspektive für eine Ausstellung interessant. Zum einen wäre da die inhaltliche Dimension: Wenn wir einen Privatbrief von Brahms an Clara Schumann ausstellen oder Beethovens berühmten doppelt gesiegelten Brief an Franz Stockhausen, den Harfenisten in Paris, dann sind das immer Möglichkeiten, die Besucherinnen und Besucher an einem doch sehr persönlichen, intimen Dialog teilhaben zu lassen. Das ist ein bisschen wie der Blick durch das Schlüsselloch.

Zum anderen kennt jeder das Phänomen des Briefe-Schreibens selbst, kann sich also mit der Rolle des Schreibers oder der Schreiberin durchaus identifizieren. Da kommt dann die Materialität ins Spiel: Der Brief wird zum sinnlichen Objekt, das als solches in den Fokus rückt. Wie wurden die Schriftzüge platziert, wie wurden die Bögen gefaltet? Gerade in den heutigen Zeiten, wo wir in den digitalen Medien angekommen sind, haben diese materiellen Details ihren Reiz. Das ist besonders der Fall, wenn die Materialität des Briefes eine ganz eigene Geschichte erzählt, ein Brief zum Beispiel gefaltet und versiegelt, dann jedoch wieder aufgebrochen wurde, damit eine Nachschrift hineingelegt werden konnte – wie im Fall unseres Beethoven-Briefes. Solche spannenden Vorgänge lassen sich in einer Ausstellung sehr schön dokumentieren.

 

Das Interview führte Lea Kollath

 


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