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„Herzstück des Archivs“

Interview mit Britta Dittmann, Archivarin des Buddenbrookhaus / Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum

Das Buddenbrookhaus / Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum ist nicht nur eines der bekanntesten Literaturmuseen Deutschlands, sondern auch eine Forschungs- und Gedenkstätte, die dem Andenken und der Erforschung von Leben und Werk der Brüder Heinrich und Thomas Mann sowie der weiteren Familie Mann gewidmet ist. Im Archiv des Hauses befinden sich etwa 3.000 Briefe bzw. Briefwechsel und zahlreiche Einzelautografen von Heinrich, Thomas und Katia Mann sowie Nachlässe und Teilnachlässe aus der Lübecker Familie Mann sowie dem Umfeld der jungen Brüder Thomas und Heinrich Mann. Außerdem verfügt das Archiv über Teilnachlässe und Dokumentensammlungen von Thomas-Mann-Forschern (z.B. Walter A. Berendsohn, Hans Bürgin, Käte Hamburger).

Britta Dittmann, langjährige Archivarin des Buddenbrookhauses, beantwortet im Interview Fragen zur Bedeutung von Briefen in der Arbeitet des Hauses.

Welchen Stellenwert haben die Briefe und Postkarten innerhalb der Sammlungsbestände und für die Forschung des Hauses? Gibt es aktuelle Editionsprojekte?

Dittmann: Die Briefe sind das Herzstück unseres Archivs. Dementsprechend waren diese Archivalien das erste Umzugsgut, welches wir wegen des Umbaus ausgelagert haben. Wir haben wenig Objekte in der Sammlung, der Schwerpunkt liegt auf der Flachware. Unter unseren Autographen bilden Briefe und Postkarten den Hauptteil. In den letzten zehn Jahren ist der Briefbestand durch Ankäufe und Schenkungen stark angewachsen.

In der Sonderausstellungen des Buddenbrookhauses wurden immer wieder Briefe aus den eigenen Beständen gezeigt. 2005, 2012 und 2015  wurden Brief-Konvolute jeweils in eigenen Kabinett-Ausstellungen präsentiert. 2006 und 2015 sind Thomas Mann-Briefe in der hauseigenen Buchreihe: „Aus dem Archiv des Buddenbrookhauses“ editiert worden. Die 80 Karten des 2012 erworbenen Postkartenkonvoluts von Thomas an Heinrich Mann werden in die Neuauflage des Briefwechsels Heinrich Mann-Thomas Mann eingefügt, welcher im nächsten Jahr im Fischer Verlag erscheinen wird. Briefe aus dem Heinrich Mann-Konvolut dienen derzeit Forschungen zu Heinrich Manns erster Ehefrau Maria Kanová.

Sind die Briefbestände digitalisiert? Kann man von extern in den Beständen recherchieren? Gibt es eine gemeinsame Datenbank mit anderen Literaturmuseen? Welche Ziele sind mit der Digitalisierung verbunden (digitales Editionsprojekt, Digital Humanities-Forschungsprojekt o.ä.?)

Dittmann: Die Briefe sind zu 80% digitalisiert. In den letzten sechs Jahren wurde die Archivbestände konsequent inventarisiert und gescannt, lediglich „Altbestände“ zur Lübecker Familie Mann sind noch nicht gescannt (dieses soll im nächsten Jahr nachgeholt werden). Die Digitalisierung wurde vor allem unter dem Aspekt des Umbaus vorangetrieben, da die Bestände ausgelagert sind, ist ein schneller, direkter Zugriff auf die Originale nicht mehr möglich.  Die digitalen Bestände sind derzeit nur in der hausinternen Datenbank einsehbar. Noch in diesem Jahr soll die Brief-Datenbank, ähnlich wie unsere Bibliotheks-Datenbank, online gestellt werden (die Digitalisate werden aus rechtlichen Gründen weiterhin nur auf Anfrage einsehbar sein). Dabei geht es zunächst darum, das Haus als Archiv und Forschungsstätte in der Öffentlichkeit weiter zu etablieren. Ein erster Schritt ist dabei die Vernetzung. Das Netzwerk der Mann-Häuser „Thomas Mann International“ plant eine Rechercheplattform, welche die international verstreut liegenden Thomas Mann-Bestände virtuell zusammenführen wird. Das online-Angebot wird voraussichtlich ab Sommer 2021 zur Verfügung stehen. Über diese Plattform wird die Bibliotheks- als auch die Brief-Datenbank des Buddenbrookhauses recherchierbar sein. Ein ähnliches Projekt ist für Heinrich Mann geplant. Unter der Federführung der Akademie der Künste gibt es das Projekt „Heinrich Mann Digital“. 2021 werden die beteiligten Archive, darunter auch das Buddenbrookhaus, die Manuskripte Heinrich Manns in digitaler Form gemeinsam präsentieren. Desweiteren sollen die Brief-Daten für den Kalliope-Verbund bereitgestellt werden.

Schon vor dem sog. „material turn“ war die Materialität eines Briefes, ein „sprechendes“ oder ästhetisches Äußeres, für Literaturausstellungen von großer Bedeutung. Hat sich das Ausstellen von Flachware durch die verstärkte wissenschaftliche Aufmerksamkeit für Materialität verändert? Zu welchen neuen Erkenntnissen kann die genauere Untersuchung der Materialität von Briefen führen?

Dittmann: In unseren Brief-Ausstellungen 2012 und 2015 zeigten sich die ersten Ansätze, auf die Materialität und nicht nur auf die Inhalte der Briefe zu achten.  Erkenntnisse z.B. bezüglich des Beschreibens von Rückseiten bei Heinrich Mann wurden 2015 schon thematisiert.

Am Beispiel des Briefes von Hermann Sinsheimer an Maria Mann in der Ausstellung „A Brief history“ zeigte sich sehr gut, dass der genaue Blick auf die Materialität des Briefes auch einen inhaltlichen, häufig auch biografischen Mehrwert zutage fördern kann. In diesem Fall offenbarte sich eine Ebene der Beziehung zwischen Heinrich und seiner Frau. Ähnliches lässt sich bei der Napoleon-Postkarte von Thomas an Heinrich Mann aufzeigen: Motivwahl und Textgestaltung verweisen auf das Verhältnis zwischen den Brüdern.

Wie soll voraussichtlich in der neuen Dauerausstellung mit Briefen umgegangen werden: Werden Briefe zu sehen sein und wenn ja, in welcher Form: im Original oder als Faksimile und warum? Welche Kriterien sind bei der Auswahl von Briefen für die Ausstellung entscheidend?

Dittmann: Dass in der neuen Dauerausstellung des Buddenbrookhauses Briefe der Familie Mann gezeigt werden, ist ein Punkt, der schon entscheiden ist. Noch nicht endgültig geklärt ist, in welcher Form dieses geschehen wird. Die Tendenz geht zum Faksimile, da es sich um eine Dauerausstellung handelt. Es wird aber auch überlegt, ausgewählte Stücke im Original zu zeigen. Bei den Kriterien für die Auswahl geht es an erster Stelle darum, welchen Inhalt der Brief transportiert. Aber auch das Thema Handschrift wird ein bedeutender Punkt sein. Bei den Brüdern Mann verändert sich die Handschrift im Laufe der Jahre. Diesen Aspekt wird man sicherlich anhand von Briefen aufzeigen.

Vielen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte Kerstin Klein


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