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„Teils belanglos, teils hochbrisant“ – Geschäftsbriefe aus dem Hochofenwerk Lübeck

Interview mit Dr. Bettina Braunmüller, Leiterin des Industriemuseums Geschichtswerkstatt Herrenwyk

Sehr geehrte Frau Dr. Braunmüller, im ehemaligen Werkskaufhaus des Hochofenwerks, wo sich heute das Industriemuseum Geschichtswerkstatt Herrenwyk befindet, werden verschiedenste Unterlagen wie Mitarbeiterkarteien, Rechnungsbücher und Baupläne aufbewahrt. Welchen Anteil nehmen Geschäftsbriefe an dem erhalten gebliebenen Schriftgut ein?

Dr. Braunmüller: Das ist sehr schwierig zu beantworten, da das Archivgut nicht bzw. nur geringfügig inventarisiert ist. Eine Inventarisation wurde von mir 2017 begonnen, aber aus Zeitmangel nicht fortgeführt. Ich schätze den Anteil der Geschäftsbriefe jedoch als relativ gering ein; Hauptmasse des Archivgutes sind sicherlich Baupläne und Rechnungsbücher, Fotografien und Bilanzen. Es kann außerdem die Vermutung aufgestellt werden, dass diese Briefe als nicht so interessant bzw. archivwürdig wie die anderen Rubriken empfunden wurden und daher nicht in großem Stile hier zu finden sind. Man muss jedoch auch hierbei berücksichtigen, dass das Museum nur sehr wenig, vielleicht unter 20% der Akten des Hochofenwerkes besitzt. Der Hauptteil befindet sich im Stadtarchiv Lübeck.

Welche Bedeutung hat der überlieferte Schriftverkehr des Hochofenwerks und der Flenderwerft für die Aufarbeitung der Industrie- und Stadtteilgeschichte in Herrenwyk? Welche Fragestellungen können mithilfe des vorhandenen Quellenmaterials bearbeitet und beantwortet werden?

Dr. Braunmüller: Der Schriftverkehr ist auf viele Arten interessant. Er zeigt Verwaltungsstrukturen und Hierarchien auf, gibt Auskunft über die technische Ausstattung und das Personal der einzelnen Gewerke und ist ein Stück Zeitgeschichte. Anhand von Formalien lässt sich der Zeitgeist erkennen, ebenso wie politische Verhältnisse, das Geschlechterverhältnis und die Selbstwahrnehmung des Betriebes. Inhaltlich sind die Briefe teils belanglos, teils hochbrisant in den Themenbereichen wie Arbeitszeitreduktion, Arbeitsunfälle, Beschwerden von Angestellten, Lohnforderungen etc. Manchmal fällt einem ein Brief in die Hand, der auf vielen Ebenen hochinformativ ist.

Befinden sich im Archiv des Industriemuseums auch Privatbriefe, die Auskunft über die (spezifische) Arbeiterkultur in der ehemaligen Werkskolonie geben?

Dr. Braunmüller: Privatbriefe sind sehr selten, meist handelt es sich um Jubiläen von Mitarbeitern und Dankeskarten oder Gratulationen. Private Briefe mit sehr privatem Inhalt, die Aufschluss über den Alltag der Menschen geben würden, liegen meines Wissens aktuell nicht vor. Beim Sammeln konzentrierte man sich auf das Geschäftliche bzw. viele Familien behandeln Privates auch sehr privat und geben das nicht gerne ab, da es auch emotionale Erinnerungsstücke sind. Aufschlussreicher sind hier eher Interviews, die überliefert sind.

Eine Sektion der Summerschool beschäftigt sich – ebenso wie die damit verbundene Ausstellung „a BRIEF history“ – mit der materiellen Beschaffenheit von Briefen. In welchem Lagerungs-/Erhaltungszustand befinden sich die Massen an Geschäftsbriefen im Museumsarchiv? Weisen diese möglicherweise besondere Spuren des industriellen Arbeitsumfelds auf?

Dr. Braunmüller: Die Geschäftsbriefe, die ich fand, waren in Ordner abgeheftet oder lose Zettel. Sie wurden in der Vergangenheit (sicherlich zu Zeiten der Auflösung des Werkes) aber oft schlecht behandelt, lagen wohl zeitweise auf dem Boden und sind dem entsprechend oft beschädigt; hinzu kommt, dass viele auf sehr dünnem Durchschlagpapier getippt sind, was sehr anfällig für Risse ist. Viele Briefe sind mit ihrer Büroklammer oder Heftklammern verrostet und eine Verbindung eingegangen, was schlicht dem Zahn der Zeit geschuldet ist. Besondere Spuren des Arbeitsumfeldes lassen sich nicht erkennen.

Frau Dr. Braunmüller, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Eike Daniel Loeper

 

Veranstaltungshinweis: Das Industriemuseum Geschichtswerkstatt Herrenwyk zeigt vom 25. Oktober 2020 bis 4. April 2021 die Ausstellung „Not macht erfinderisch – zivile Notgegenstände aus Militärmaterialien. Die Sammlung Olaf Weddern“. Mehr Infos unter geschichtswerkstatt-herrenwyk.de.


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