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Ole Meiners

‚Moralische Ökonomie‘ und hansischer Handel. Vertrauen und informelle Beziehungen in merkantilen Netzwerken des 15. und 16. Jahrhunderts

Der hansische Handel beruhte in hohem Maße auf dem wechselseitigen Vertrauen der beteiligten Kaufleute. Die Rahmenbedingungen, die wesentlich über Erfolg und Misserfolg bestimmten, waren in vielerlei Hinsicht unsicher. Der einzelne Kaufmann konnte die wechselhaften politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse über die langen Distanzen der Handelsrouten kaum überblicken. Somit war er auf das Geschäftsgebaren seiner Handelspartner angewiesen, die an den verschiedenen Handelsorten des Hanseraums tätig waren. Um die Zuverlässigkeit und Sicherheit ihrer Handelsbeziehungen zu gewährleisten, griffen etwa die oberdeutschen und niederländischen Kaufleute auf in hohem Maß formalisierte Handelsgesellschaften und -kompanien zurück, in denen zumeist strikte Hierarchien zwischen den an der Spitze stehenden Kaufleuten und den ihnen untergeordneten Faktoren und Handelsdienern herrschten. Im Gegensatz hierzu war der hansische Handel durch den Zusammenschluss rechtlich gleichstehender Kaufleute zu zeitlich befristeten Gesellschaften und den kaum vertraglich fixierten ‚Handel auf Gegenseitigkeit‘ gekennzeichnet. Die hansischen Kaufleute spannten auf diese Weise seit dem 12. Jahrhundert aus einer Vielzahl kleiner, individueller Handelsverbindungen ein großes Netzwerk über den gesamten Nord- und Ostseeraum.

Die einzelnen Händler an den jeweiligen Handelsorten agierten hierbei weitgehend selbstständig. Angesichts der großen Distanzen zwischen diesen bestand kaum die Möglichkeit der gegenseitigen Kontrolle. Man war also darauf angewiesen war, dass die Beteiligten zuverlässig und aufrichtig im Interesse ihrer Partner oder der gemeinsamen Gesellschaft handelten.

Die Forschung hat die Bedeutung des wechselseitigen Vertrauens für diese Form der Handelsorganisation vielfach betont. Als Erklärung für sein Zustandekommen wird dabei gemeinhin auf die große Bedeutung von Verwandtschafts- und Schwägerschaftsbeziehungen zwischen den Kaufleuten verwiesen. In jüngerer Vergangenheit wurde dieser Erklärungsansatz um ‚soziale Netzwerke‘ erweitert, wobei neben Freundschaftsbeziehungen auch gemeinsame Mitgliedschaften in Gilden oder Bruderschaften berücksichtigt werden. Vertrauen sei, so die Annahme, innerhalb dieser Verbindungen schlichtweg gegeben. Doch die Vielzahl an nachweisbaren Konflikten gerade mit Verwandten und Familienmitgliedern lässt diese Antwort als unzureichend erscheinen. Die Ausgangshypothese des Promotionsvorhabens ist daher: Vertrauen kann und muss von den Beteiligten aktiv hergestellt und aufrechterhalten werden. Die zentrale Frage lautet dementsprechend: Wie konnte innerhalb der hansischen Kaufmannsnetzwerke Vertrauen aufgebaut werden? Diese Netzwerke sollen hierzu mithilfe eines praxeologischen Ansatzes aus der Innenperspektive beleuchtet werden. Statt der Frage, ob Vertrauen vorlag und ob es gerechtfertigt war oder nicht, soll es darum gehen, welche Mittel den Kaufleuten zur Verfügung standen, um sich der Zuverlässigkeit ihrer Handelspartner zu versichern. Zentraler Untersuchungsgegenstand ist die Kommunikation zwischen den Kaufleuten, wie sie in Form von Briefen überliefert ist. Die kaufmännische Korrespondenz war das wichtigste und oftmals einzige Medium für den Austausch zwischen den Händlern, die häufig an den äußeren Grenzen des Hanseraums tätig waren. Anhand dieser Quellen ist zu ermitteln, nach welchen Logiken die Kaufleute miteinander verkehrten und inwiefern mittels rhetorischer Strategien eine Illusion der Selbstlosigkeit nach den Spielregeln des Gabentauschs aufrechterhalten wurde. Über den konkreten Gegenstand hinaus wird auf diese Weise zum Verständnis des Entstehens von Vertrauen im konfliktträchtigen Feld zwischen Markt und sozialen Netzwerken beigetragen, deren Vereinbarkeit keineswegs so selbstverständlich ist, wie sie zumeist dargestellt wird.

 

 

Ole Meiners, M.A., studierte von 2005 bis 2013 Geschichte, Germanistik und Interkulturelle Pädagogik in Münster und Oslo und war danach als Assistent der Geschäftsleitung des Historischen Seminars der WWU Münster tätig. Er promovierte am dortigen Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit. Ole Meiners war ab 2015 Stipendiat am ZKFL und war von 2016-2017 Sprecher der Stipendiat:innen.