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Marco Mauerer

Strategien der Weltbewältigung. Hans Blumenberg und der Mythos

Hans Blumenberg war ein schwieriger Denker. Was sich wie ein Gemeinplatz ausnimmt, ist im Falle Blumenbergs in Gehalt und Präsentation durchaus als Teil des Werkes selbst angelegt. Jedem, der sich darauf einlässt, das intellektuelle Abenteuer dieses Werks zu ergründen, ist bekannt, dass seine Gedankengänge sich im Unterschied zur gewohnten Systematik eines philosophischen Textes klassischer Herkunft nur selten in einer systematischen Ordnung anfinden. Vielmehr werden einzelne Gedanken und Topoi angedacht und digressiv umschrieben, nur um dann hunderte von Seiten später oder teilweise auch über Buchdeckelgrenzen hinweg wieder aufgenommen zu werden. Der Umweg, von Blumenberg selbst als essenzielles Verfahren der Kultur in toto bezeichnet, scheint gleichfalls sein Lieblingsweg zu sein, um komplexe gedankliche Variationen erst nach langer Zeit an vorläufige Ziele zu führen. Hierin liegt für den Interpreten eine Schwierigkeit und eine Chance zugleich.

In meiner Dissertation beschäftige ich mich mit Blumenbergs Theorie des Mythos. Neben der Untersuchung der Genese, Bedeutung und Wirkungsgeschichte der theoretischen Weltsicht auf der einen Seite, stellt vor allem die Überprüfung der ihr entgegengesetzten mythischen Weltauslegung ein Lebensthema dieses Denkers dar.

Die Basis dieser Thematisierung des Mythos bildet eine stets miteingeschriebene Anthropologie pessimistischer Prägung. Illustriert wird die kulturgeschichtliche Frage, wie es der Mensch trotz der Sinnlosigkeit der Welt mit dieser aufnehmen und entgegen aller Widerstände in ihr heimisch werden kann, anhand einer Fülle von Rezeptionsbeispielen. Die Geschichte des Mythos, die trotz und gerade auch wegen des Konkurrenzangebotes der reinen Rationalität niemals vollständig obsolet wird, gerät somit zur Universalgeschichte der in diesem Sinne gewonnenen Bedeutsamkeiten. Dass dies eine Herausforderung an traditionelle Rationalitätskonzepte der Philosophie beinhaltet, versteht sich fast von selbst. So stellt sich bei Blumenberg angesichts der Rehabilitierung des Mythos als einer legitimen Weltbewältigungsstrategie die Frage nach einem erweiterten Begriff der Vernunft: Wie vernünftig es sein kann, nicht bis zum Letzten vernünftig zu sein.

Wie eingangs erwähnt, besteht die erste Schwierigkeit darin, den umfassenden Korpus der Schriften Blumenbergs systematisch zu durchleuchten. Zu diesem Zweck wurden in einem ersten Arbeitsschritt ordnende Begrifflichkeiten erstellt, um die einzelnen Gedanken dann im zweiten Schritt in ein solches Raster einzuordnen. Dieser zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene Vorgang verspricht eine gründliche Darstellung der Mythostheorie Hans Blumenbergs in systematischer Hinsicht und somit die Schließung einer bisher offen gebliebenen Forschungslücke. In ihm liegt einer der wichtigsten Arbeitsansprüche dieser Promotion.

Ein anderer Teil der Bearbeitung des vorliegenden Ansatzes zum Mythos besteht darin, ihn mit anderen klassischen philosophischen Versuchen, die das gleiche Thema zum Inhalt haben, zu konfrontieren. So kann zum einen Blumenbergs Position deutlicher konturiert werden, zum anderen auch eine Überprüfung auf die mögliche Aneignung fremden Gedankengutes erfolgen. Diese Arbeit wird durch die nicht immer sichtbar gemachten Referenzen teilweise erschwert.

Nach Bewältigung dieser Aufgaben kann die interpretative Erweiterung in Angriff genommen werden. Es steht zu erwarten, dass sich hierbei die Chance zeigt, welche dem Bearbeiter gerade durch die eigenwillige Struktur des Werkes gegeben ist: die Möglichkeit, nicht nur zwischen den Zeilen, sondern auch zwischen den einzelnen Gedankengängen Lücken kreativ zu erweitern – wobei das Augenmaß, welches im Sinne Blumenbergs noch zu vertreten wäre, natürlich niemals außer Acht gelassen werden darf. Fragen wie die nach der gegenwärtigen Aktualität mythisch geprägter Sinnentwürfe und Lebenskonzepte, aber auch die nach den ästhetischen Implikationen einer solchen Theorie bleiben zwar nicht gänzlich unbeantwortet, aber letztlich doch unterbestimmt. Dennoch: Dass Blumenberg sie überhaupt problematisiert, zeigt, dass der Versuch, sie weiter zu denken, keinesfalls ein aussichtsloses Unterfangen darstellt. Gerade die Möglichkeit, seine Überlegungen zur Strukturierung des kulturellen Sinnhorizontes mittels mythischer Bedeutsamkeit einmal auch in heterogenen kulturellen Zusammenhängen und unter Berücksichtigung von ihm selbst nicht gewählter Beispiele aus bildender Kunst und Musik in Anwendung zu bringen, stellt eine Neubewertung der Tragfähigkeit und Reichweite des blumenbergschen Ansatzes in Aussicht.